Moses’ Enkelin

rebecka lejeune dirichlet 11.4.1811–1.12.1858

die enkelin des aufklärers moses mendelssohn und kleine schwester von felix mendelssohn bartholdy und fanny hensel stand ihr leben lang im schatten ihrer geschwister. zu unrecht.

„sie war weniger musikalisch als die ältesten geschwister, aber die schärfe ihres verstandes, ihr geist und ihr sprudelnder witz zeichneten sie vor allen aus“, schrieb sebastian hensel über seine tante rebecka. doch die hatte nicht nur den „durchdringendsten verstand“ der ganzen familie, sie war auch eine bekannte salonière ihrer zeit und eine begabte sängerin, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass ihre schwester das komponieren nicht aufgab.
alle vier kinder von abraham mendelssohn und lea salomon bekommen früh musik- und klavierunterricht, zunächst von ihrer mutter, dann in zelters berliner singakademie. während fanny und felix bald beginnen, selbst zu komponieren, ist es „beckchen«, die als pianistin und gesangssolistin die lieder ihrer schwester und die frühen werke ihres bruders erst im häuslichen kreis und später bei den „sonntagsmusiken« bekannt macht.

rebecka mendelssohn bartholdy hat nicht nur eine schöne singstimme, sie ist witzig, schlagfertig, das wissen fliegt ihr zu, sie spricht mehrere sprachen fließend, besucht als eine der wenigen frauen die vorlesungen alexander von humboldts und hegels, und sie ist schön (und ihre schwester fanny etwas eifersüchtig). der historiker droysen, der jurist gans und der dichter heine verlieben sich in sie (wenngleich dessen komplimente etwas fragwürdig klingen; an einen freund schreibt er: „rebecka… das liebe kind, so lieb, so hübsch, so gut, jedes pfund ein engel!«). aber rebecka heiratet gegen den willen ihrer dominanten mutter peter gustav lejeune dirichlet, einen schweigsamen hoch gewachsenen mathematiker, dem rebecka „kaum bis zum magen“ reicht, wie ihre schwester fanny spöttelt.  die beiden ziehen erst in eine gartenwohnung des mendelssohnschen anwesens und dann in die leipziger straße 3. rebecka bekommt zwischen 1833 und 1845 vier kinder. einen sohn nennt sie wie ihren bruder felix, und der witzelt: „liebes beckchen! daß du deinen jungen felix genannt hast, ist um so vernünftiger als er, der kleine, unmöglich constantin oder caesar der große hätte genannt werden können.“ doch der kleine felix stirbt mit 13 monaten.

in dieser zeit hat rebecka dirichlet bereits begonnen, in ihrem haus gesellige dienstage zu veranstalten. es wird diskutiert und musiziert und es kommen werke jener komponisten zur aufführung, die im umkreis der berliner singakademie geschätzt werden – bach, mozart, gluck, beethoven… – und natürlich auch hier die kompositionen ihrer geschwister.  rebecka (auf dem bild gezeichnet von ihrem schwager, dem hofmaler wilhelm hensel) ist die erste sängerin der lieder ihrer schwester fanny und ihr ist es wohl auch zu verdanken, dass die trotz des fehlens öffentlicher anerkennung weiter komponiert. fanny schreibt einmal an einen freund: „…seit rebecka nicht mehr singen mag, liegen meine lieder durchaus ungehört und ungekannt da, und man verliert am ende selbst mit der lust an solchen sachen das urtheil darüber, wenn sich nie ein fremdes urtheil, ein fremdes wohlwollen entgegenstellt.“ (irgendwann übernimmt cecile, die junge frau felix mendelssohns, rebeckas rolle und interpretiert fannys lieder.)

die geschwister sind sich innig zugetan und schreiben sich ständig lange briefe (felix, dessen bewerbung als direktor der berliner singakademie an antisemitischen ressentiments gescheitert war, ist inzwischen in düsseldorf). und vor allem die briefe rebeckas sind die quelle, die heute aufschluss geben über felix‹ karriere und fanny hensels nicht-karriere und die gesellschaftlichen fragen der zeit. denn beider kleine schwester „beckchen“ ist eine kluge, scharfsinnige korrespondentin, deren begabung neben felix und fanny nur nicht recht zur anerkennung kommt.
bekanntlich sterben beide kurz hintereinander, fanny mit 42 jahren im mai 1847, felix mit 38 ein halbes jahr später. rebecka dirichlet nimmt fannys einzigen sohn sebastian zu sich und wird zum mittelpunkt der familie mendelssohn bartholdy. 1855 folgt sie ihrem mann nach göttingen, der dort nachfolger von carl friedrich gauß an der uni wird. sie findet in göttingen „nur vogelgesang und gelehrsamkeit«, versucht aber auch hier wieder, „die leute mit den brosamen unserer vergangenen herrlichkeit zu füttern“ und gibt wie in berlin musikalische gesellschaften, an denen sich u.a. johannes brahms beteiligt. sie stirbt mit 47 jahren in göttigen nach einem schlaganfall, wie zuvor schon ihre geschwister fanny und felix. ein halbes jahr später erliegt auch ihr mann einer herzerkrankung.

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