Titanic in Gotenhafen

zum 30. jahrestag des untergangs der titanic am 15. april 1912 verfilmt die berliner tobis-filmkunst gmbh die katastrophe – als antibritisches propagandastück, mit einem budget von drei millionen reichsmark eine der teuersten filmproduktionen des dritten reichs. goebbels will britische schlamperei, korruption, skrupellosigkeit, verkommenen geldadel, verantwortungslose schiffseigner usw. vorführen und lässt sich ein passendes drehbuch stricken. erst will niemand die peinlichkeit drehen. dann findet sich doch noch ein renommierter regisseur: herbert selpin (u.a. cut bei „sinfonie einer großstadt“, drehbuch für „kleiner Mann – was nun?“, regie bei „wasser für canitoga“, seit 1934 nsdap-mitglied). im februar 42 beginnen die dreharbeiten im jofa-atelier in berlin-johannisthal, parallel dazu außenaufnahmen mit einem modell der titanic im scharmützelsee und in „gotenhafen“ (gdynia) an deck des früheren luxusdampfers cap arcona, der jetzt der kriegsmarine gehört.

selpin schickt ein team mit seinem drehleiter walter zerlett-olfenius zur cap arcona los, um den dreh vorzubereiten. als er dorthin nachkommt, trifft ihn fast der schlag. die kostüme sind nicht fertig, die schauspieler können ihre texte nicht, die komparsinnen feiern mit der besatzung orgien in den kabinen, eine hauptdarstellerin kann „das schiff nicht mehr verlassen wegen völliger trunkenheit“ und ist für drei tage und nächte nicht auffindbar. dazu der zeitdruck, die allgemeine kürzung der lebensmittelrationen, unzufriedene aufmüpfige arbeiter.

selpin rastet aus. er macht seinen kompagnon und den kommandanten der cap arcona für das chaos verantwortlich und beschimpft sie: „feige schlappe scheiß-soldaten, scheiß-leutnant, scheiß-ek1, scheiß-ritterkreuzträger, scheiß-wehrmacht“ usw. zerlett-olfenius lässt sich das nicht bieten, er kündigt, fährt zurück nach berlin und denunziert selpin bei hans hinkel, chef der reichskulturkammer, und dann bei goebbels. als selpin fertig mit dem drehen und wieder in berlin ist, wird er am 30. juli ins propagandaministerium zitierz, anschließend muss er bei goebbels persönlich antreten. vor ihm bestätigt er seine aussage und will sie auch nicht zurücknehmen. goebbels lässt ihn direkt aus seinem büro abführen und im polizeipräsidium am alexanderplatz festsetzen. am nächsten tag wird ihm dort der sofortige ausschluss aus der reichsfilmkammer zugestellt. ein paar stunden später erhängt sich selpin mit seinem mantelgürtel an einem abflussrohr. dass er ermordet (erwürgt) wurde, hält sich gerüchteweise bis heute, wurde aber von gerichtsgutachtern widerlegt. goebbels schreibt am 1.8.42 in sein tagebuch: „der filmregisseur selpin hat sich in der zelle erhängt. damit hat er selbst die konsequenzen gezogen, die sonst wahrscheinlich von seiten des staates gezogen worden wären“, und er weist an, dass der name selpin nirgends mehr erwähnt werden darf („…plakate sind zu überkleben… alte theaterzettel sind sofort zu vernichten… die lässige behandlung dieser angelegenheit kann für alle unangenehme folgen haben.“ gez. deutsche filmvertriebsgesellschaft m.b.h.)

eine woche später übernimmt werner klingler die regie und stellt den film fertig. warum titanic dann für den deutschen verleih verboten bzw. zurückgestellt wurde, obwohl von der filmprüfstelle freigegeben und mit dem prädikat „staatspolitisch wertvoll“ versehen, könnte daran liegen, dass er trotz allem mit dem namen des erfolgreichen, bis dahin als systemtreu geltenden herbert selpin und seinem gewaltvollen tod verbunden blieb und die hurra-stimmung der bevölkerung nach drei jahren krieg am umkippen war. eine uraufführung in berlin hätte für goebbels und hinkel ein unberechenbares szenario bedeutet. und so findet sie ganz im stillen erst im september 1943 und in prag statt. „titanic“ wird im gesamten besetzten gebiet von athen bis zagreb gezeigt (in deutschland west+ost erst 1950) und wird die erfolgreichste deutsche produktion in europa. zum einen mögen die leute katastrophenfilme, zum anderen hatte selpin in seinem letzten film gezeigt, was er dramaturgisch und technisch drauf hatte: realistisch wirkende wassermassen, kenternde rettungsboote, panik, geschrei, menschen, die zu tode getrampelt werden, das langsame versinken des riesenrumpfes in den fluten…

zwei jahre später wird der inszenierte horror auf schreckliche weise von der realität überboten: britische bomber versenken die cap arcona, das titanic-double, am 3. mai 45 in der lübecker bucht; der größte teil der über 4000 kz-häftlinge plus 500 bewacher und seeleute an bord kommt ums leben.

Hinterlasse einen Kommentar