„Gott sei Dank, dann gibt es Frieden!“


Marianne Grunthal
31.1.1896 – 2.5.1945


„gott sei dank, dann gibt es frieden!“ – für diesen leisen seufzer musste sie am 2. mai 1945 sterben, eine stunde vor ankunft der amerikanischen truppen in schwerin

marianne grunthal war eine unpolitische frau, die tochter eines metzgers aus zehdenick, die im ersten weltkrieg in berlin pädagogik studiert und an der robert-heinrich-schule in zehdenick u.a. hauswirtschaft und sport unterrichtet hatte, bis sie 1943 wegen einer sehbehinderung frühpensioniert worden war.
am 27. april 1945 hatte zehdenick geräumt werden müssen, es gab amerikanische und sowjetische tieffliegerangriffe und die alleinstehende lehrerin schloss sich mit ihrer freundin und deren familie einem flüchtlingstreck in richtung mecklenburg an. am vormittag des 2. mai waren sie kurz vor schwerin im dorf zippendorf an der gaststäte „zur eiche“ angelangt, als jemand aus der flüchtlingsgruppe rief: „hitler ist tot!“. marianne grunthal sagte spontan, wohl mehr zu sich selbst als zu den anderen: „gott sei dank, dann gibt es frieden!“.  vielleicht hat sie wegen ihrer sehschwäche nicht mitbekommen, dass ss-leute in der nähe waren, möglicherweise angehörige der wachmannschaften, die tausende kz-gefangene aus ravensbrück und sachsenhausen auf todesmärschen bis südöstlich vor schwerin getrieben, sich zum teil aber auch schon von ihren posten abgesetzt hatten. die drei männer, die den erleichterten satz der 49-jährigen gehört und sie sofort ergriffen und auf einen militärlaster gezerrt hatten, gehörten nach zeitzeugenberichten zur feldgendarmerie, also zur „geheimen feldpolizei«, die zu dieser zeit auch jagd auf derserteure machte. laut stadtarchiv schwerin wiederum waren es lettische ss-leute, die am buchstaben »L« am uniform-ärmel als angehörige der „balten-ss“ zu erkennen waren.  sie verschwanden mit marianne grunthal auf dem lkw richtung stadtzentrum, hielten am bahnhofsvorplatz und verlangten im friseurladen am bahnhof nach einem stuhl. die frau des besitzers, er selbst war im krankenhaus, weigerte sich, den herauszugeben, ihre stühle seien zum sitzen da! und so holten sie sich einen stuhl aus dem bahnhofshotel, während immer mehr gaffer auf den platz strömten.  die ss-männer hängten marianne grunthal, deren hände sie ihr auf dem rücken gefesselt hatten, ein pappschild mit der roten aufschrift: „eine deutsche frau, die sagt: gott sei dank, dass der führer tot ist“ um, und schleppten sie zu einem leitungsmast der straßenbahn. ein damals elfjähriger augenzeuge: „ihr gesicht war blutverschmiert, man muss sie brutal gefoltert haben. sie trug ein rot-braunes, kleinkariertes kostüm, braune strümpfe, braune schuhe mit halbhohem absatz. da wir so dicht standen, konnten wir hören, dass sie leise schluchzte.“
dann zwangen sie marianne grunthal auf den stuhl und hängten sie vor den augen aller auf. der strick riss, sie fiel, versuchte sich aufzurichten, wurde, nun an einem fernmeldekabel, zum zweiten mal aufgehängt und starb nach wenigen sekunden, umhüllt vom schweigen der menge. die drei ss-männer setzten sich wortlos in ihr auto und fuhren davon. jemand befreite die tote von der schlinge und legte sie neben den straßenbahnmast; ein anderer mann brachte sie auf einem fahrradanhänger weg.
es gab etwa hundert freiwillige und unfreiwillige zuschauer bei diesem verbrechen. ein mann, der ehemalige leutnant euringer, riss der toten das schild ab, wurde jedoch von umstehenden gezwungen, ein neues schild anzufertigen; er stellte jahrzehnte später strafanzeige gegen „unbekannt“. 1946 wurde eine luftwaffenhelferin tiedgen angeklagt, weil sie die papptafel geschrieben hatte. sie beteuerte, dass ein ss-mann sie gezwungen hätte, den text zu schreiben und wurde laufen gelassen; nach anderen aussagen aber hatte sie sich damit gebrüstet, die tafel geschrieben zu haben.
die täter selbst tauschten ihre uniformen gegen zivilkleidung und waren verschwunden, als die amerikaner eine stunde später, gegen 13 uhr in, der stadt eintrafen und für schwerin der krieg vorbei war. dass marianne grünthals name überhaupt bekannt wurde, war ihrer freundin zu verdanken, die sie gesucht und gefunden hatte und die ihren tod auf dem standesamt anzeigte.
der schauspieler und regisseur martin hellberg, der als kommunist nach seinem berufsverbot zur wehrmacht eingezogen worden war, erlebte die letzten kriegstage als soldat ebenfalls in schwerin. er hatte von dem lynchmord an der lehrerin gehört, bekam ihren namen heraus und das datum und den ort ihrer beisetzung. außer ihm kamen zwölf menschen zur beerdigung. die worte, die hellberg an ihrem grab sprach, sind erhalten:  „marianne grunthal! im leben sind wir uns nicht begegnet, aber dein tod hat dir unsere herzen gewonnen. (…) du hast als erste frei ausgesprochen, was millionen, ja ich wiederhole es getrosten mutes, millionen gleich dir empfanden. aber du hast für dies ‚um-stunden-zu früh‘ bezahlt wie alle, die einer wahrheit zuerst den atem ihrer rede gaben: nämlich mit dem leben. (…) du starbest im angesicht einer menschenmenge, die, gelähmt von furcht, das entsetzliche zuließ. aber das ungeheuerliche konnte nur geschehen, weil seit jahren der abschaum unseres volkes das recht des höchsten richters ungehindert übte. drohung und lüge waren sein vorspann – das chaos ist sein erbe geworden. dies – marianne grunthal – führte dein schicksal uns noch einmal erschreckend vor augen und an deiner bahre geloben wir: deines namens gedächtnis zu wahren, weil sein klang uns gemahnt, wachsam zu sein!“

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