scholem schwarzbard – dichter, anarchist, attentäter – schießt am 25. mai 1926 in der rue racine im pariser quartier latin mit den rufen „das für die pogrome – dies für die massaker – dies für die opfer“ den exil-ukrainer symon petljura nieder und übergibt seine waffe den herbeieilenden polizisten mit den worten: „ich habe einen großen meuchelmörder getötet.“
scholem schwar(t)zbard wurde am 18. august 1886 in ismail im südwesten der ukraine geboren. nach einem ukas der zaristischen russischen regierung musste die jüdische familie den ansiedlungsrayon verlassen und zog nach balta, wo scholem mit 14 eine uhrmacherlehre begann und in kontakt mit revolutionäre ideen kam. u.a. engagierte er sich in der lokalen sozialistischen gruppe „iskra“, benannt nach der zeitschrift der partei lenins. während der russischen revolution von 1905 schloss er sich einer von juden geführten paramilitärischen einheit an, wurde verhaftet und inhaftiert. im zuge einer amnestie freigelassen, floh schwarzbard 1906 nach österreichisch-ungarn. 1908 wurde er wegen anarchistischer umtriebe erneut inhaftiert und ging nach wiederholten verhaftungen 1910, weil er keine feste anstellung fand, nach frankreich.
mit dem ausbruch des ersten weltkriegs trat schwarzbard der französischen fremdenlegion bei. nach seiner demobilisierung 1917 kehrte er nach russland zurück und schloss sich den roten garden an. dann versuchte er in odessa unabhängige anarchistische schulen aufzubauen. 1919 trat er erneut in die rote armee ein, als er berichte über judenpogrome durch die „weiße« und die ukrainische armee hörte, denen auch 14 mitglieder seiner familie zum opfer fielen. nach seinen informationen waren diese pogrome vom damaligen oberbefehlshaber der ukrainischen armee symon petljura befohlen worden…
schwartzbard verließ die rote armee aber bald wieder, um mit der revolutionären aufständischen armee der ukraine (RIAU; auch „machnovists“, nach ihrem anführer nestor machno genannt), einer anarchistischen guerilla-einheit, gegen ukrainische und russische konterrevolutionäre und lokale pogromisten und gegen die zunehmend autoritären bolschewiki zu kämpfen.
1920 kehrte schwarzbard nach paris zurück, eröffnete eine uhrenreparaturwerkstatt und pflegte weiter kontakte mit anarchisten wie volin, alexander berkman und emma goldman. der zufall wollte, dass auch petljura nach dem bolschewistischen sieg geflohen war und sich wie er in paris niedergelassen hatte – der mann, den er für die pogrome in seiner heimat verantwortlich machte (die historiker sind uneins darüber, jedenfalls tat er nichts, um sie zu stoppen). schwarzbard begann, seine rache zu planen. ausführung siehe oben.
schwarzbards tat wurde in der gesamten jüdischen diaspora gefeiert. viele juden trugen zu seinem verteidigungsfonds bei, und prominente persönlichkeiten wie albert einstein boten an, für ihn auszusagen. sein verteidiger vor gericht war der berühmte linke pariser anwalt henri torres, der zuvor schon erfolgreich die spanischen anarchisten buenaventura durruti und francisco ascaso vertreten hatte. schwarzbard unternahm keinen versuch, die verantwortung für die ermordung petljuras zu leugnen; er erklärte, dass er berechtigt sei, die pogrome zu rächen. torres ließ auch eine überlebende als zeugin auftreten und bat dann das geschworenengericht, ein urteil zu fällen, das dem revolutionären erbe frankreichs würdig sei. das gericht sprach schwarzbard frei („verbrechen aus leidenschaft“) und petliuras witwe und bruder die etwas beleidigende summe von je einem franken schadensersatz zu.
in jiddischen literaturkreisen für seine gedichte bereits einigermaßen bekannt, machte schwarzbards bemerkenswerter prozess ihn nun auch weltweit berühmt. 1928 versuchte er nach palästina auszuwandern, doch die briten verweigerten ihm das visum. er zog stattdessen in die usa und publizierte dort unter seinem pseudonym „bal chaloimas“ – „träumer“ den gedichtband „in krig – mit sich alejn“ und seine autobiografie „in’m loif fun jorn“. 1937 reiste er nach südafrika, um geld für eine jiddischsprachige enzyklopädie zu sammeln und starb dort am 3. mai 1938 infolge eines herzinfarkt. er wude auf dem maitland jewish cemetary bei kapstadt begraben und 1967 seinem wünsch gemäß nach israel überführt.
seine jiddischen gedichte habe ich online nicht gefunden, aber eins von itzik manger über ihn und die pogrome:
Shvartsbard balade
Ibern nakhtishn tfise-fentsterl,
tsitern vayse, farpaynikte berd,
un vekn dem shotn, vos ligt farmatert –
a gekreytster oyf nakhtisher erd.
»Proskurof! Proskurof!*
Mir zenen di vizye fun shtet ongetsundene,
di vizye fun shrek iber khoreve vent.
Mir zenen gekumen mit vintn tseflien,
tsu kushn dayn tsar un tsu bentshn dayn tuen, –
her, vi mir klopn,
un betn mit kranke farvyanete lipn:
shenk undz a tropn
fun blut, vos fibert, vi royter burshtin
oyf dayne bleykhe, yidishe finger.«
Ibern nakhtishn tfise-fentsterl,
flatern vayse meydl-geshtaltn.
Di bristn tsebisn, antbloyzt kegn nakht,
khlipen zey troyrik arayn durkh di shpaltn.
»Proskurof! Proskurof!
Mir zenen di vizie blut un shigoen
oyf tunkle ukrainishe stepes getsundn.
Di vizye fun der heyliker yungfroy,
vos hengt a geshendte tsum shand-slup gebundn.
Her, vi mir klapn,
un betn mit kranke, farfestikte otems:
shenk undz a tropn
fun blut, vos fibert,vi royter burshtin
oyf dayne bleykhe yidishe finger.«
Ibern nakhtishn tfise-fentsterl,
tsinen on kinder di kroyn fun troyer,
un veynen mit shvartse elegishe oygn
arayn zeyer tsar in der nakht un der bloyer:
»Proskurof! Proskurof!
Mir zenen dayn eybik umzistiker korbn.
Gekreytsikt in kholem oyf undzere vign,
mir hobn gezen der mameshis bristn
tsevorfn oyf mistn un hegdeshn lign.
Her, vi mir klopn,
un betn mit bleykhe, dershrokene lipn:
shenk undz a tropn
fun blut, vos fibert, vi royter burshtin
oyf dayne bleykhe yidishe finger.“
*proskurow (seit 1955 chmelnyzkyj) ist eine ukrainische stadt, in der 1917 ca 1600 juden bei pogromen und 1941 etwa 12000 von der deutschen ermordet wurden.

