
Gegen sie ist Frau Peachum aus der Dreigroschenoper ein kleines Licht: Friederika Mandelbaum aus Kassel war die unangefochtene Gaunerkönigin New Yorks und der Kopf der erfolgreichsten Verbrechersyndikats ihrer Zeit.
New York City war in den 1860er-Jahren eine der korruptesten Metropolen der Welt und hatte bei einer Gesamtbevölkerung von 800.000 mehrheitlich elendig armen Einwohnern 30.000 Diebe, 20.000 Prostituierte, 2.000 Glücksspiel- und 3.000 Trinkhäuser aufzuweisen (letztere mit namen wie »Suicide Hall, »The Morgue« oder »Tub of Blood«).
Friederika Weisner, 1825 als eines von sieben Kindern des Kleinwarenhändlers Samuel Abraham Weiner und seiner Frau Regine in Kassel geboren und mit Wolf Mandelbaum, einem Hausierer aus Grebenstein verheiratet, war nach der Geburt ihres ersten Kindes 1850 in die USA ausgewandert und wie andere mittellose Emigranten in der Lower East Side von New York untergekommmen, in einer Gegend, die sich »Kleindeutschland« nannte. sie hatte hier einen kleinen Laden eröffnet, der spätestens ab 1854 aber nur noch als Tarnung diente. Denn Frau Mandelbaum hatte Gefallen am Verkauf von Hehlerwaren gefunden, die sie anfangs in ihrem Geschäft und später in zwei großen Lagerhäusern aufbewahrte. Doch das war nur der Anfang.
Sie, ihr phlegmatischer Ehemann starb 1875, wurde für die nächsten 30 Jahre, so die New York Times 1874 »der Kern und das Zentrum der gesamten Kriminalitätsorganisation in New York«, und sie führte als erste eine Syndikatstruktur in der Unterwelt ein. Friederika Mandelbaum, genannt »Marm Mandelbaum« stellte das Kapital bereit, damit Einbrecher ihre Coups organisieren konnten, sie finanzierte Diebe aller Coleur und war an der Planung einiger der spektakulärsten Bankraube in der Geschichte der Stadt beteiligt. Marm kontrollierte mehrere Banden von Erpressern und betrieb eine legendäre Ausbildungsstätte für junge Talente: »Marm’s grand street gang school«. Hier brachten die von ihr rekrutierten professionellen Einbrecher und Tresorknacker Marms Zöglingen die Künste ihres jeweiligen Handwerks bei. Und wer entsprechendes Geschick zeigte, wurde in ihr Unternehmen übernommen oder konnte weiterführende »Kurse«, z.B. in Erpressungstechniken belegen.
Friederika Mandelbaum war überdurchschnittlich intelligent, einfallsreich und den Gesetzeshütern immer einen Schritt voraus. Sie schmierte großzügig jeden, der ihr gefährlich werden konnte – Politiker, Polizisten und Richter. Für den Fall, dass jemand vergaß, wofür das Bestechungsgeld gedacht war, hatte sie »Howe & Hummel« engagiert, zwei der cleversten Winkeladvokaten des Landes. Immer wenn zB. eines ihrer Diebesnester ausgehoben wurde, waren die zur Stelle, und verteilten Bargeld, um sicherzustellen, dass den verdächtigen kein Schaden zugefügt wurde.
Marm war eine üppige Person, 1,80 Meter groß, 150 Kilo schwer und sicher keiner Schönheit, laut eines Pinkerton-Agenten, »eine gigantische Karikatur von queen Victoria mit schwarzen, hochgesteckten Haaren und einem kleinen Dutt mit herunterhängenden Federn.« Doch Marm Mandelbaum war charmant und hatte eine überwältigende Ausstrahlung, so dass bei ihren legendären Dinnerparties Elite-Ganoven und die High Society – »saubere« Geschäftsleute, Prominente, Richter und Staatsanwälte – einträchtig miteinander schmausten, auf (geklautem) edlen Geschirr, unter (geklauten) riesigen Kronleuchtern und begleitet von Klaviermusik (chopin).
Die New Yorker Presse nannte sie bewundernd fast immer nur »Marm« oder »Mom« Mandelbaum und beschrieb Friderika als Art Übermutter der Unterwelt. Denn »the queen of fences« wurden von Fachleuten aller Verbrechenssparten verehrt und war für vielen arme Kinder »die Mama, weil ich ihnen gebe, was eine Mutter manchmal nicht geben kann – Geld, Pferde und Diamanten.« Und sie lehrte sie, dass man »ein perfekter Gentleman und ein völliger Gauner« sein könne.
Marm Mandelbaum war – eine Ausnahme in ihrem Beruf – für ihre Großzügigkeit berühmt, dafür, dass sie Gewalt ablehnte, ihrer Mannschaft gegenüber äußerst loyal und ehrlich war, bereitwillig sowohl mit jungen Dieben als auch bei etablierteren Gaunern Geschäfte machte, ihre Klienten nie verriet, und die, die in Schwierigkeiten gerieten, immer herausboxen ließ, so dass der »Brooklyn Daily Eagle« sie als »höchst respektable und menschenfreundliche Empfängerin gestohlener Waren« bezeichnete.
Zum Pech für Marm stellte New York irgendwann einen neuen ehrgeizigen Bezirksstaatsanwalt ein, Peter Olney, der seinen Job ernst nahm, und da er der eigenen Polizei nicht traute, die Privatdetektei Pinkerton mit der Jagd nach Marm beauftragte. Die schleuste einen V-Mann in Mandelbaums Organisation ein und im Juli 1884 wurde die »Königin der Gauner« schließlich geschnappt. Sie beteuerte ihre völlige Unschuld, beschrieb sich als Besitzerin eines bescheidenen Kurzwarenladens, Witwe mit vier Kindern und angesehenes Mitglied der Kongregation Temple Rodeph Sholom, und wurde gegen die außergewöhnlich hohe Kaution von 10.000 Dollar (bei Mord waren es damals 500 Dollar) bis zum angesetzten Prozessbeginn freigelassen. Am Tag vor ihrem Gerichtstermin ließ Marm die Kaution Kaution sein und schaffte es (obwohl ihr Haus ununterbrochen von Pinkertons Leuten überwacht wurde), sich nach Kanada abzusetzen, das damals kein Auslieferungsabkommen mit den USA hatte. Das Bargeld und die Diamanten im Wert von einer Million Dollar, die sie bei sich hatte, ermöglichten ihr noch ein gutes Leben in Hamilton, Ontario und großzügige Spenden für Wohltätigkeitsorganisationen.
Machdem Marm Mandelbaum 1894 eines natürlichen Todes gestorben war, wurde sie in ihrem Sarg nach New York zurückgebracht. An ihrer Beerdigung nahmen alle namhaften Eliten und Politiker der Stadt teil und scharenweise Kriminelle, die sich von ihrer Mentorin und Gönnerin verabschieden wollten. Allerdings sollen hinterher zahlreiche betuchte Trauergäste der Polizei die Türen eingerannt haben, weil man sie bei der Beerdigung beklaut hatte. Gelernt ist gelernt.
