
Es ist weder Goebbels‘ Lieblingsregisseur selbst noch seine dritte Ehefrau, die »Reichswasserleiche« Kristina Söderbaum, die Felix Moellers Film »Im Schatten von Jud Süss« (2008) bemerkenswert macht. Es ist die zerrissene Familie, die Veit Harlan hinterlassen hat und wie sie mit dem giftigen Erbe lebt(e).
Zur Erinnerung: Veit Harlan (1899–1964) ist der Regisseur, der sich schon 1933 öffentlich zu den Nationalsozialisten bekennt und Pathos, Volksgemeinschaft und Führertum solange zu Filmdramen zusammenrührt, bis Joseph Goebbels ihn bemerkt und sich 1940 »Jud Süß« bei ihm bestellt, den Hetzfilm schlechthin. Harlan bearbeitet das Drehbuch, führt Regie, lässt Komparsen aus dem Prager Ghetto antreten, seine Frau (in der Hauptrolle) vom perversen Juden schlachten und das Filmvolk brüllen: »Der Jude hat sie auf dem Gewissen! Totschlagen! Der Jude muss weg!«. Goebbels jubelt in sein Tagebuch: »Das wird der antisemitische Film… ein ganz großer, genialer Wurf« – so genial, dass Harlan fortan Narren- und Filmfreiheit genießt.
Als Tochter Maria (2018 verstorben) den immer noch verbotenen Film mit 70 zum ersten Mal richtig gesehen hat, wäre sie »am liebsten rausgegangen und hätte gekotzt«. Nichte Christiane erinnert sich, wie ihr späterer Mann, Stanley Kubrick, vor der ersten Begegnung mit ihrer Edelnazi-Familie einen großen Wodka kippte, um sich zu wappnen…
Maria und Christiane, Thomas, Kristian, Caspar, Alice, Jessica, Lotte, Nele, Lena, Chester und Jan – alle zwölf sind Kinder, Enkel, Neffe oder Nichte von Veit Harlan – sie reden in diesem Film darüber, wie er und sein Werk noch nach 60 Jahren die Familie spaltet.
An einem Ende des Spektrums Sohn Thomas (2012 verstorben): »Was er gemacht hat, ist ein Mordinstrument geworden« und Enkelin Jessica: »Er hätte verurteilt werden müssen«.
Dazwischen die, für die er ein »ehrgeiziger Mitläufer« ist. Am anderen Ende des Familientisches Kristian, der findet, dass das Medium Film »ja immer zur Propaganda missbraucht wird« und Caspar, der sagt, sein Vater sei »ein unpolitischer Mensch gewesen… halt ein Künstler und da ist es mit ihm durchgegangen… garantiert kein Antisemit… auf keinen Fall!«.
Genau das aber ist für Thomas »das Schlimmste«, dass »der Nicht-Antisemit der beste Wetzer des Messers« war. Doch glaubt niemand, »dass er sich wirklich vorgestellt hat, wozu das führt«. Christiane meint: »Er hat nur an das gute Licht gedacht, die schöne Aufnahme, den zufriedenen Goebbels«. Die Propagandafilme »waren ein guter Deal, um neue Projekte finanziert zu bekommen«, glaubt Jessica, die sicher ist, dass ihr Großvater kein Problem damit hatte, »Jud Süß« zu drehen. Dass er seine Frau mitspielen ließ, ist für Thomas »der beste Beweis dafür, dass sein Vater »den Film für richtig gehalten« hat.
Veit Harlan ist ein Verführer, der seine Fähigkeiten von Anfang an bis Toresschluss – von »Der Herrscher« bis zu dem pathostriefenden Durchhalte-Epos »Kolberg« mit Heinrich George und Frau Söderbaum 1945 – dazu nutzt, Vaterlandsliebe und Opferwille zu predigen oder sinnlosem Sterben Bedeutung einzuhauchen. Dafür darf er sich Professor nennen, das Propagandaministerium betreten, wann immer er will, und Geld ausgeben, so viel er will – für Statistenheere und Engelschöre.
Nach dem Krieg wird Harlan zwar angeklagt, aber freigesprochen. Er hat aus »Befehlsnotstand«, als »Opfer der Umstände« gehandelt und dreht trotz Protesten weiter, wie zuvor – und mit Söderbaum in der Hauptrolle. Die sagt später in einem Interview: »Der Film hat unser Leben zerstört…«. Nicht nur das ihre. Harlans Sohn Thomas, den Autor und Regisseur (»Wundkanal«), hat dieses Erbe zum obsessiven Aufarbeiter gemacht, der verzweifelt ist am »schändlichen Tun« seines Vaters. Und am Nicht-Tun. Denn er »hat sich nie distanziert«, sagt Jessica, »nie ein Wort der Selbstkritik verloren«. Doch: Maria hat »kein Verständnis dafür, dass er 30 Jahre lang auf unserem armen Vater herumgehackt hat«, Kristian findet es »schäbig«, und wirft Thomas vor, sich mit der scharfen Kritik an seinem Vater nur »zu profilieren«.
Doch ist Thomas nicht das einzige Opfer seiner Eltern. Enkelin Alice wurde in der Schule als dreckige Deutsche beschimpft, Caspar riet man, seinen Namen zu ändern und beide Harlan-Töchter haben tatsächlich den Namen ihrer Mutter angenommen, obwohl sie, so Thomas, »innig mit ihm verbunden waren«. Die Schuldgefühle führten soweit, dass sie jüdische Männer heirateten. »Ich habe versucht etwas gut zu machen«, erklärt Maria, aber »das war ein Schuss in den Ofen«. Ihre Schwester Susanne habe sich am Ende umgebracht. Deren Tochter Jessica resümiert: »Ich gehöre zu einer Familie, die durch die NS-Zeit völlig gespalten ist in Täter und Opfer… Mein Großvater hat Filme für die Nazis gemacht, in der Zeit, wo meine anderen Großeltern ermordet worden sind«. Kaum zu ertragen. Deutsche Geschichte.
