Der fliegende Schneider von Paris

heute vor 112 jahren stürzt der schneider franz reichelt mit seinem selbstgebauten fallschirm vom eiffelturm in den tod
geboren am 16. oktober 1878 in böhmen, zog reichelt 1898 nach paris, 1907 nahm er sich eine wohnung im dritten stock in der rue gaillon 8 und eröffnete ein bald erfolgreiches schneidergeschäft, das hauptsächlich österreicher auf reisen nach belieferte. im juli 1910 begann reichelt mit der entwicklung eines „fallschirm-anzugs“, inspiriert von den vielen unfällen, die es zu beginn des luftfahrtzeitalters gab. seine ersten tests waren erfolgreich: die ankleidepuppen, die er mit faltbaren „flügeln“ aus seide ausgestattet hatte, setzten leicht auf, wenn sie aus dem fünften stock fallen gelassen wurden, aber die umwandlung der prototypen in einen tragbaren „anzug“ erwies sich als schwierig. sein ursprüngliches design verwendete 6 quadratmeter material und wog 70 kilo. reichelte präsentierte seinen entwurf der führenden luftfahrtorganisation „la ligue aérienne“, doch die lehnte dankend ab.

1911 schrieb ein oberst lalance an den „aéro-club de france“ und bot einen preis von 10000 franken für einen scherheitsfallschirm an, der aber nicht mehr als 25 kilo wiegen sollte. reichelt verfeinerte sein design, reduzierte das gewicht und vergrößerte die oberfläche, bis sie 12 quadratmeter erreichte. aber seine dummys fielen ausnahmslos schwer zu boden. er sprang auch selbst aus einer höhe von 8 bis 10 metern auf heuhaufen, brach sich das bein, führte das aber darauf zurück, dass die falldistanz zu kurz sei, und versuchte über ein jahr lang erfolglos die erlaubnis zu bekommen, vom eiffelturm zu springen. schließlich erhielt er die genehmigung, allerdings dafür, wieder eine puppe dabei einzusetzen. 

am sonntag, 4. februar 1912, es hatte unter null grad und war böig, kam er mit zwei freunden gegen 7 uhr mit dem auto am marsfeld an, wo schon haufenweise reporter warteten, denen er das „event“ zuvor angekündigt hatte. franz reichelt trug bereits seinen fallschirmanzug und verkündete der erstaunten menge nun, er wolle selber springen. seine freunde versuchten ihn zu überreden, eine attrappen zu nehmen, die reporter versuchten es. doch reichelt antwortete, er sei fest davon überzeugt, dass sein gerät funktionieren würde. auch ein sicherungsseil lehnte er ab, er wolle das experiment selbst und ohne tricks versuchen, um den wert seiner erfindung zu beweisen. 

laut „le petit parisien“ wurde reichelts versuch, zur ersten plattform des turms aufzusteigen, zunächst von einem wächter namens gassion blockiert, der zeuge früherer erfolgloser dummy-abwürfe geworden war und befürchtete, dass der versuch in einer katastrophe enden würde. um 8 uhr stand reichelt mit seinen beiden freunden dann trotzdem oben. als er die treppe hinaufgestiegen war, hatte er sich der menge unten zugewandet, die hand gehoben und ein fröhliches „à bientôt!“ gewünscht.

um 8.22 uhr stieg der erfinder in 57 meter über dem boden auf einen hocker vom nebenliegenden restaurant, prüfte die windrichtung, indem er ein blatt papier aus einem kleinen buch warf, stellte einen fuß auf das geländer, zögerte lange, etwa 40 sekunden und sprang dann, laut „le figaro“ lächelte er. der„fledermaus“-mantel öffnete sich nicht, er faltete sich fast sofort um seinen träger herum und der fiel für ein paar sekunden, bevor er wie ein stein auf dem boden aufschlug und einen 15 zentimeter tiefen krater im gefrorenen boden hinterließ. der 33-jährige lebte schon nicht mehr, als die zuschauer zu ihm eilten, wurde aber noch ins krankenhaus gebracht und dort offiziell für tot erklärt.

die zeitungen der nächsten tage waren voll mit der geschichte samt fotos und der film des versuchs von „pathé-cinéma“ (-> youtube) wurde von den nachrichtenagenturen weiterverbreitet. die ersten berichte spekulierten noch über reichelts gemütszustand und einen möglichen selbstmord, doch reichelts freunde erklärten in interviews, der schneider habe sich unter druck gesetzt gefühlt, die erwartungen zu erfüllen und seine sponsoren zufriedenzustellen; die laufende kamera dürfte ihr übriges dazu getan haben. in seinem testament, das wenig später öffentlich wurde, hatte reichelt darum gebeten, dass im fall seines ablebens seine kleidung an seinen vater und sein vermögen an eine luise schill gehen solle und sich dafür entschuldigt, falls er jemandem schmerzen bereitet haben sollte. 
und so ging der „fliegende schneider“ als tragischer held in die geschichte ein.

zwei tage vor seinem tödlichen unfall, war ein amerikaner, frederick rodman law, mit einem fallschirm von der aussichtsplattform an der fackel der freiheitsstatue gesprungen – pikanterweise von der gleichen filmgesellschaft „pathé“ gefilmt, die ihm für diesen stunt 1500 dollar gezahlt hatte.

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