Vater der Sozialmedizin: Johann Peter Frank 

Johann Peter Frank (19.3.1745–1821) würde sich angesichts einer weltweiten Pandemie, die alle Bevölkerungsschichten ergreift, ganz sicher bestätigt wissen. Der Pfälzer hat vor über 200 Jahren als erster verstanden und propagiert, dass der Staat und auch die Gesundheit Gesetze und klare Regeln braucht, um das körperliche Wohl seiner Bürger*innen zu erhalten.

Hineingeboren in eine Zeit, in der neben Kriegen diverse Seuchen, Tuberkulose, Pocken, Choleraepidemien usw. nicht nur die Armen, sondern allen Bevölkerungsschichten dezimierten, sieht der prominente Mediziner die Ursachen für viele Krankheiten in Armut, Unwissenheit, zu hoher Arbeitsbelastung, mangelnder Hygiene und nicht naturgemäßer Lebensweise: „Der größte Teil der Leiden, die uns bedrücken, kommt vom Menschen selbst“. Als Vertreter eines aufgeklärten Absolutismus fordert Frank, dass der Staat dafür sorgen solle und kann, dass seine Untertanen gar nicht erst krank werden: „Das Volkselend ist die Mutter aller Krankheiten. Viele davon können aber doch durch obrigkeitliche Vorsorge beseitigt werden.“

Wie das zu bewerkstelligen war, legt Frank in seinem Hauptwerk „System einer vollständigen medicinischen Polizey“ dar („Polizey“ meint dabei die Gesamtheit der Maßnahmen, die der Staat zu ergreifen hatte, um seine Bürger zu schützen und gesund zu erhalten). Das „System“, das ihn in ganz Europa berühmt macht, war der Beginn der Bemühungen um eine öffentliche Hygiene und gilt noch heute als eine der Säulen des Sozialstaates für das Gesundheitswesen. 

Frank sammelt und behandelt hier in sechs Bänden systematisch alle denkbaren Umstände, die der Gesundheit von der Wiege bis zur Bahre beeinflussen (allerdings schränkt er ein: „Es versteht sich wieder, daß ich nicht alles, was unser Leben, als Zufall, oder Folge des Leichtsinnes, verkürzen mag, dahier betrachten kann: sonst müßte ich auch vom Kriege und von bösen Weibern reden“). 

In den ersten beiden Bänden geht es um das Zölibat (das er ablehnt), den richtigen Zeitpunkt der Ehe, die freie Wahl des Gatten, die Schwangerschaft (Frank warnt die Männer u.a. davor, ihre schwangeren Frauen zu schlagen), um Kaiserschnitt, Abtreibungen, Erziehungsfehler, Waisen- und Findlingshäuser, Schulen, Pausen am Arbeitsplatz und Gymnastik (inklusive der Vorstellung aller möglichen der Gesundheit förderlichen Turn- und Sportübungen).

Band III ist der gesunden/ungesunden Ernährung und den Getränken („Von der Mäßigkeit überhaupt“), der Kleidung, der Freizeit, dem Wohnen und Bauen sowie der Stadtreinigung gewidmet; Frank forderte u.a. mehr Licht, Grünanlagen, saubere Toiletten, das Händewaschen, strenge Hygienevorschriften in Krankenhäusern usw. 

Das Inhaltsverzeichnis des 4. Bandes liest sich so: „Öffentliche Sicherheit, Verletzungen durch einstürzende Gebäude, Uberfahren, Wasser, Feuer, Schlafwandler, Wahnsinnige, Tiere, Vergiftung, Schlägerei, Zauberei, Mißhandlung Sterbender, Gefahr, lebendig begraben zu werden“.
In Band V geht es im weitesten Sinne um das Thema Tod und im letzten Band schließlich um eines der Hauptanliegen Franks: Die (bessere) Ausbildung der Ärzte, Pfleger, Hebammen sowie die Reform des Krankenhaus- und Gesundheitswesens einschließlich der statistischen Erfassung von Krankheitsfällen.

Geschrieben hat Johann Peter Frank dieses für seine Zeit bahnbrechende, lebensnahe und allgemeinverständliche Werk über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten. Es ist die Summe akribischer theoretischer Studien, vielfältiger praktischen Berufs- und Lebenserfahrungen und seiner Wissbegier von Kindesbeinen an.

Johann Peter Frank kommt 19. März 1745 als elftes Kind des Kaufmanns Nikolaus Frank und seiner Frau Maria Margarethe Würz im pfälzischen Rodalben bei Pirmasens zur Welt. Seinen Vater beschreibt er als aufbrausend und jähzornig, die Mutter als sanft und liebreich. Er besucht die Dorfschule, wird mit sieben Jahren zu einem seiner Brüder nach Eußertal bei Landau gegeben, und setzt nach seiner Rückkehr mit Hilfe seiner Mutter bei seinem Vater die Erlaubnis, zu studieren durch. Er besucht in Bockenheim die Jesuitenschule, studiert anschließend in Metz und an der lothringischen Universität Pontà Mousson, einer Hochburg der Gegenreformation, Philosophie und Physik und bekommt dort „eine solche Liebe zu dieser Wissenschaft, daß ich, nachdem ich im nämlichen Jahre die Doktorwürde in der Philosophie erhalten hatte, die Arzneikunde als eine Tochter von jener erwählte und zum größten Leidwesen meiner frommen Mutter der Absicht, ein Geistlicher zu werden, entsagte.“ 

Medizin studiert Frank in Heidelberg und Straßburg, wo er praktische Erfahrungen bei Krankenbesuchen im Militärspital sammelt, nun auch noch zum Doktor der Medizin promoviert, und zum ersten Mal den Gedanken äußert, dass „obrigkeitliche Vorsorge“ imstande sein könnte, Krankheiten zu verhindern und dazu „eine systematisch bearbeitete­ Wissenschaft“ vonnöten sei.

Vorerst aber betätigt er sich als Landarzt in seiner Heimat – in Rodalben, Bitsch, Rastatt und Bruchsal –, wird Hofmedikus des Markgrafen vo­n Baden und später des Fürstbischof Graf von LimburgStyrum. 1767 heiratet Frank seine „unvergleichliche Katisch… der Gedanke, daß ich mich bloß durch Anwendung aller meiner Kräfte für die Wissenschaft ihrer würdig machen und mein Glück beschleunigen könnte, ließ mich alle, auch noch so große Schwierigkeiten glücklich überwinden (…) Aber leider war es, wie das Glück der Menschen zu sein pflegt, von sehr kurzer Dauer“. Katharine Frank stirbt 1768 an Kindbettfieber, ihr kleiner Sohn ein halbes Jahr danach an den Pocken – beides Mitgründe dafür, dass sich Frank später vehement für eine bessere Unterrichtung der Hebammen und die neuartige Pockenimpfung einsetzt.

1770 drängen Franks Freunde ihn, wieder zu heiraten. „So wenig noch mein Gemüt für eine neue Verbindung gestimmt sein mochte, so gehorchte ich doch diesem Rate“, schreibt er in seiner Autobiografie, berichtet über zwei Söhne, die ihm und seiner zweiten Frau Marianne Wittlinsbach aus Rastatt geboren werden. Die später geborenen erwähnt er nicht mehr explizit, „da einige derselben tot zur Welt kamen, die anderen in den ersten Jahren nach der Geburt ihr Leben verloren“

In diesen Jahren, Frank ist für das Spital in Bruchsal und 36 Ortschaften der Umgebung zuständig, hält er anatomische und chirurgische Vorlesungen, übt seine Studenten in der „Zergliederungskunst“, baut eine pathologische Sammlung auf und einen Garten, um sie Pflanzenkunde zu lehren und schreibt an seinem Hauptwerk. Und 1779 ist es soweit. Der erste Band des „Systems einer vollständigen medicinischen Polizey“ erscheint in Mannheim. Frank ist 34 Jahre alt und sein Name spricht sich schlagartig an allen Universitäten und Fürstenhöfen herum.

1784 bekommt er Angebote für Professuren sowohl aus Göttingen als auch aus Pavia. Frank geht erst nach Göttingen und im Jahr darauf nach Pavia. Er wird Spitaldirektor, Protophysikus und Generaldirektor des Medizinalwesens – und räumt auf. Das Krankenhaus ist in einem „abscheulichen“ Zustand, Frank holt sich die Genehmigung, neue Räume bauen zu lassen. Ihm misshagt, dass seine Schüler unausgeschlafen und verspätet zu den Vorlesungen erscheinen, dass die Bibliothek nur kurze Öffungszeiten hat, es kein brauchbares Unterrichts- und Anschauungsmaterial gibt und viele Studenten sich keine Bücher leisten können. Also schreibt er ihnen selbst fünf Bücher: „Über die Behandlung der Krankheiten des Menschen“ und erarbeitet einen Lehrplan.

1788 wird Frank die Oberaufsicht über sämtliche 43 in der österreichischen Lombardei und dem Herzogtum Mantua befindliche Krankenhäuser anvertraut. Er soll das Gesundheitswesen reorganisieren, unternimmt weite Inspektions-und Supervisonsreisen durch die arme Provinzen, entwirft Klinikpläne für Mailand und die Republik Genua, für eine Hygiene an Strafanstalten, für ein Apotheken- und Arzneiwesen, für Landarztstellen und für eine neue Hebammenschule. Denn die Mütter- und Säuglingssterblichkeit ist hoch. Frank hat zeitlebens mit seinen Vorgesetzten zu kämpfen, denen seine Vorschläge meist zu teuer sind, und auch hier kann er sie erst von notwendigen Änderungen überzeugen, nachdem er sich eines drastischen Tricks bedient: „Eine unerfahrene Hebamme hatte sich nämlich auf dem Lande bei Entbindung eines Weibes eines hölzernen Hakens bedient und hiemit sowohl Mutter als Kind ermordet. Dieses Werkzeug des Todes wurde mir zugesandt, und ich erkannte es für den Stiel eines Kochlöffels. Eben diesen noch blutigen Kochlöffel schickte ich nach Mailand mit der freimütigen Anmerkung: daß ich nach so vielen wegen notwendiger Verbesserung des Hebammenwesens auf dem Lande von mir gemachten Vorstellungen wegen so schreckbaren Auftritten mir selbst keinen Vorwurf zu machen hätte.“ 

1790 stirbt Peter Franks Gönner, Joseph II. Seinem reaktionären Nachfolger Leopold II., aber auch vielen seiner Kollegen und der Kirche, die Krankheiten als von Gott gesandte Strafen ansieht, passen die aufklärerischen Ambitionen Franks nicht und so werden „Pfeile des Neides gegen mich gespitzt“, wie er schreibt. Nach zehn Jahren in Pavia enthebt Leopold II. ihn 1795 von seinem Dienst in Italien und beruft ihn in Wien „zum K.K. Hofrate, zum Direktor des allgemeinen Krankenhauses und zum ordentlichen Professor der praktischen Arzneischule bei der Universität zu Wien“.

Allen Widerständen zum Trotz vergrößert Peter Frank auch dort die engen Krankensäle, verbessert die Verpflegung der Kranken, legt feste Zeiten für Medikamentenabgaben fest, stellt mehr Ärzte ein, sorgt für die Trennung von Patienten mit ansteckenden Krankheiten, läßt auch für die „Verrückten“ einen Garten und hygienische Aborte anlegen (der Beginn der Psychiatriereform), errichtet ein chirurgisches Amphitheater, ein pathologisches Kabinett und eine medizinische Handbibliothek. Alexander von Humboldt, der 1797 ausgiebig Franks Klinikum in Wien besichtigt hat, ist begeistert: „(Ich) gestehe, daß selten ein Mann solchen Eindruck auf mich gemacht hat (…)“, mit einer „Klarheit der Ideen, Besonnenheit und Gründlichkeit bei dem sichtbaren Aufblitzen des Genies“.

Und auch Peter Frank selbst ist stolz auf sein Werk: „Das schmachtende Pflänzchen, welches ich als Verfasser der medizinischen Polizei in jenen Boden versetzt habe, ist in einem nicht sehr langen Zeiträume zu einem Baume emporgewachsen, welcher seine Äste bereits über den größten Teil von Europa ausgedehnt und überall Früchte, deren Reife ich sobald selbst nicht erwartet hätte, getragen hat. (…)“

Als Frank mlt diesen Worten im Dezember 1801 in Wien seine Autobiografie beendet, liegen noch 20 ereignisreiche Jahre vor ihm. Wie in seinem vorherigen Leben wird er auch in Wien für seine neuartigen, provozierenden Forderungen verleumdet und wechselt, um den Anfeindungen der missgünstigen Konkurrenten und rückschrittlichen Fakultätskreise zu entkommen, 1804 als Klinikprofessor nach Wilna (wo er nachhaltig das Medizinstudium reformiert) und 1805 nach St. Petersburg. Dort wird er Leibarzt von Alexander I., Professor für klinische Medizin, Direktor der „Medico-Chirurgischen Akademie“ und als ihr Landsmann Arzt und Vertrauter der Zarin Elisabeth, die als Prinzessin Luise in Karlsruhe geboren worden war. Intrigen (der am Zarenhof einflussreichen englischen und schottischen Ärzte) indes gibt es auch hier und 1808 kehrt Frank nach einem kurzen Intermezzo in Freiburg nach Wien zurück. Er betreibt eine Poliklinik für Bedürftige und eine Privatpraxis für Betuchte (es war die Zeit des Wiener Kongresses), trifft als Musikliebhaber wie zuvor schon Haydn und Beethoven, nun aber auch Napoleon, der ihn gern nach Paris geholt hätte, und vollendet sein visionäres System einer vollständigen medicinischen Polizey“, das sich als Einrichtung öffentlicher Gesundheitsfürsorge letztlich erst in der Weimarer Republik flächendeckend durchsetzt.

Am 2. April 1821 stirbt der Begründer der Sozialmedizin und -hygiene an den Folgen eines Schlaganfalls und wird in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Zu seinem 250. Geburtstag gründet sich in seinem Geburtsort Rodalben die Johann-Peter-Frank-Gesellschaft, die seitdem jährlich eine Medaille an Persönlichkeiten verleiht, die sich im Sinne Franks um die öffentlichen Gesundheitsdienste verdient gemacht haben.

_Johann Peter Frank auf dem Frontispiz seines Werkes „Specielle Pathologie und Therapie“, Wien 1840

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