
…eine großartige Lithografie. Der Text wird auch gern „zitiert“. Da ich bislang nur den Romantitel „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod“ von Paul Zech aus den 1930er Jahren kannte, wollte ich mal wissen, was hier das Ei und was die Henne ist.
Gedruckt wurde das Plakat 1919 in Berlin, ein Original liegt im MOMA in New York, der Künstler ist dort mit „Van Santen“ angegeben. Ich habe in dieser Zeit nur einen van Santen gefunden, der allerdings in Holland lebte und Blümchen malte. Das konnte er also nicht sein. Aber es gibt einen Louis Raemaekers, ebenfalls Holländer, der Karikaturen gegen den deutschen Imperialismus gezeichnet hat. Auch diese.
Denn das Bild ist schon 1915 als „Deutschlands Tanz mit dem Tod“ in der niederländischen Zeitung „de telegraaf“ und später in England als „Germany’s tango“ erschienen. Möglicherweise war es aber ein van Santen, der das Motiv später auf Berlin bezogen zusammenmontiert hat. How ever.
Aber es geht weiter: Wenn man im Internet schaut, wird die Lithographie fast immer mit dem „Fox macabre“ oder „Totentanz“ in Verbindung gebracht, den Friedrich Hollaender 1920 für seine spätere Frau Blandine Ebinger und das (Polit)Kabarett „Schall und Rauch“ geschrieben hat. Demnach hätte Hollaender eine Anleihe bei dem Poster gemacht (das vor der Abdankung des Kaisers Ende 1918 wegen Majestätsbeleidigung in Berlin nicht hätte plakatiert werden können), nicht der Plakatmacher beim Songschreiber.
Aber nicht mal das scheint zu stimmen. Im Projekt Gutenberg kann man Paul Zechs 30er-Jahre-Roman „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod“ abrufen und der beginnt mit der Anmerkung: „…der Titel ist eine Abwandlung meiner Ende 1918 entstandenen Ballade ‚Berlin, halt ein, besinne dich, dein Tänzer ist der Tod“‚.
Mit anderen Worten: Friedrich Hollaender hat sich genau wie der Pakatmacher offensichtliche bei Paul Zech bedient – und traue nie dem ersten Dutzend Einträgen bei Google:)
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die Friedrich-Hollaender-Version von 1920:
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Blickst du hinein in das Treiben der Großstadt,
dann packt dich wohl der Ekel am Hals:
Wie sie sich sielen in Bars und Dielen
Inmitten des Pfropfengeknalls!
Wie man beim Stampfen des Foxtrotts taumelnd ganz vergisst,
dass das Gespenst noch am Galgen baumelnd an uns frisst.
Morgens serviert uns die Zeitung den Raubmord
Und mittags einen neuen Streik,
nachmittags Putschqual der Arbeitslosen
daneben einen Fingerzeig
wo man am lustigsten tanzen kann mit seiner Maus
oder wo sich eine Fee am nacktesten zieht aus.
Berlin, dein Tänzer ist der Tod!
Berlin, halt ein, du bist in Not!
Von Streik zu Streik, von Nepp zu Nepp,
bei Mord und Nackttanz und beim Step,
du musst dich amüsieren ohne Unterlass!
Berlin, dein Tänzer ist der Tod!
Berlin, halt ein, du bist in Not!
Berlin, du wühlst mit Lust im Kot!
Halt ein! Lass sein! Und denk‘ ein bisschen nach:
Du tanzt dir doch vom Leibe nicht die Schmach,
denn du boxt, und du jazzt, und du foxt, auf dem Pulverfass!
Maler und Kleckser der Snobs und der Mode ihr affektiertes Kunstgezücht
Rebelliert nicht der Pinsel und schlägt euch ins Rote, ins schamrote Angesicht,
während der Hunger aus tausend holen Augen stiert,
werden die schönsten Beine in Berlin prämiert.
Erdrückt unter Steuern und doch steuerlos
treibt in der Welt ein krankes Wrack.
Geist wird geknebelt, der Erdgeist lacht,
und der Ungeist startet nachts im Frack!
Unter der Erde, da glimmt die Zündschnur, gebt nur Acht!
Mitten im Foxtrott gibt’s einen Knacks und dann ist Nacht!
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Die Paul-Zech-Version von 1918:
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Sie tanzen um das Kalb herum
vom Morgen bis zur Mitternacht
und haben nie gewußt, warum
da draußen in der Bruderschlacht
die dummen Männer sich zerfleischen.
Sie hören nur die Geigen kreischen
und manchmal einen Pfeifenschrei
zu Mummenschanz und Maskenfest:
Berlin, halt ein, es bleibt dabei,
dein Tänzer ist die Pest.
Der Krieg fraß alle Männer weg,
und Gott wiegt keinen Heller mehr,
sein Bild verwest zu Blut und Dreck.
Weiß keiner mehr, wohin, woher
die schwarzen Wetterwolken jagen?
Die Erde ist mit Fluch geschlagen
und heult im letzten Bogenstrich
von Morgenrot zu Morgenrot:
Berlin, halt ein, besinne dich,
dein Tänzer ist der Tod.
