Lenins Zwilligsbruder

Jawohl, der berühmte Revolutionsführer hatte einen Zwillingsbruder. Doch auf Befehl Stalins wurden alle Dokumente über ihn vernichtet. Obwohl er seinen Bruder um über vierzig Jahre überlebt hat, gab es in der Sowjetunion keinerlei Informationen über ihn und sind Fotografien aus dem Archiv der Familie Uljanow erst vor ein paar Jahren aufgetaucht. 

Was bisher bekannt ist: Wladimir Iljitsch und Sergej Iljitsch Uljanow wurden am 22. April 1870 in Simbirsk geboren. Wolodja und Serjoscha verbrachten ihre Kindheit zusammen, wobei letzterer Tiere liebte und und schon in jungen Jahren Vegetarier wurde. 1886 verließ er mit 16 Jahren seine Heimatstadt und zog in die Provinz Ufa , wo er das schöne baschkirische Mädchen Suchar kennenlernte, das er später heiratete, wobei seine Familie wegen einer Typhus-Epidemie aus Angst sich anzustecken, nicht an der Hochzeit teilnahm:( 

In Ufa ließ sich Sergej Uljanow von heidnischen theosophischen Theorien mitreißen, interessierte sich aber anders als sein Zwillingsbruder nicht für Politik, sondern mehr für das Unternehmertum. Er hat in Ufa sehr erfolgreich mit Wachs gehandelt und ein ordentliches Kapital angesammelt. 
In der Zwischenzeit donnerte die erste russische Revolution heran, die Partei brauchte Geld, und Wladimir Iljitsch erinnerte sich an seinen Bruder, der ein ziemlich wohlhabender Geschäftsmann geworden war. Zu dieser Zeit soll Sergej noch zweimal geheiratet haben, aber er lehnte auch die Bitten Wladimirs nicht ab und verkaufte einen Großteil seiner Güter, um der Revolution zu helfen.

W & S, Kreml 1918

Wladimir Iljitsch beriet sich oft mit seinem Bruder und die äußerliche Ähnlichkeit der beiden amüsierte viele und war Gegenstand zahlreicher bolschewistischer Witze. Während Wladimir nach der Revolution von Petrograd zum Regieren nach Moskau ging, kehrte Sergej nach Ufa zurück. Doch nachdem sein Bruder, der Führer der Partei und des ersten Sowjetstaates schwer erkrankt und gestorben war, und bald fast die gesamte alte bolschewistische Garde Stalins Säuberungen zum Opfer fiel, floh Sergej Iljitsch ins Ausland. Zuerst nach Litauen, dann nach Rumänien, anschließend in die Schweiz und schließlich nach Mexiko, wo er sich wiederholt mit Leo Trotzki traf und sogar Versuche unternahm, die Bolschewiken der ersten Stunde in einer neuen Organisation zu vereinen. Hier schrieb er auch ein Buch mit dem Titel „Die Geschichte zurückdrehen“ und war im übrigen der Ansicht, der Islam könne zu einer neuen einigenden ideologischen Plattform werden. 

Sergej mit Trotzki, Mexiko 1938

Da er sich ernsthaft für die islamische Religion interessierte, besuchte Lenins Bruder einige Jahre später auch Mekka, was ihn aber nicht davon abhielt, am Ende nach Kuba zu ziehen, da ihn der Genosse Fidel Castro höchst persönlich eingeladen hatte. In seinen letzten Jahren setzte er große Hoffnungen in Nikita Chruschtschow, doch die Machtübernahme der Breschnew-Truppe desillusonierte ihn und er sah eine Wiederherstellung des Totalitarismus kommen, wenngleich er anderseits glaubte, der Kommunismus stehe schon vor der Tür. Obwohl es ihm zuvor gut gegangen war in Kuba, begann er nun zu kränkeln, wurde trotz aller Bemühungen der kubanischen Ärzte nie wieder richtig gesund. Sergej Iljitsch Uljanow starb 1965  in Havanna und wurde in aller Stille unter einem bescheidenen Grabstein mit Hammer und Sichel begraben. Friede seiner Asche!

Nu, gut. Die Geschichte ist von vorn bis hinten frei erfunden. Rinat Woligamsi (eigentlich Rinat Fazletdinovich Ismagilow), der Maler und Multimedia-Künstler, der sie sich 2006 ausgedacht und ein „Inoffizielles Album“ der Zwillinge mit Fotos und den „Biografien“ der beiden veröffentlicht hat, muss sich fast totgelacht haben, als seine „Enthüllungen“ durch die Presse gingen.

Dass viele Russen die Story erst einmal geglaubt haben, ist indes nicht besonders verwunderlich. Davon abgesehen, dass Dmitri Iljitsch, einer der drei Brüder Lenins (der erste war schon als Kind gestorben, der zweite mit 21 hingerichtet worden), tatsächlich große Ähnlichkeit (siehe Foto unten) mit ihm hatte und gut als Double hätte durchgehen können, hat auch das posthume Verschwinden lassen von Menschen in Russland „gute“ Tradition – ob mit dem Herausschneiden mißliebiger Personen aus Fotos oder der Vernichtung und Fälschung von Dokumenten, genauso wie das bei den Bolschewiki beliebte Mimikry mit Doppelgängern oder Decknamen. Allein Wladimir Uljanow hat 146 unterschiedliche Pseudonyme benutzt, von denen sich „Lenin“ in den 1910er-Jahren offiziell durchgesetzt hat, wobei sich die Russen bis heute nicht einig darüber sind, was die „Quelle“ dieses Namens ist. Drei sind im Angebot: Der sibirische Fluß „Lena“, weil einer von Uljanows ärgsten Konkurrenten, der Menschewik Georgi Plechanow, häufig den Namen „Wolgin“ nach dem Wolga-Fluss benutzt hat. Dann der Protagonist „Olenin“ aus der Erzählung „Die Kosaken“, die der Tolstoi-Liebhaber Uljanow vor seiner Verbannung 1897 gelesen hatte. Und schließlich Nikolai Jegorowitsch Lenin, dessen Pass Uljanow benutzt hat, als er 1890 aus Russland fliehen musste. Nikolaj Lenins Name geht wiederum tatsächlich auf den Fluss Lena zurück; er stammte von Kosaken ab, die im 17. Jahrhundert für ihre Leistung bei der Eroberung Sibirien geadelt worden waren und den Namen nach ihrem damaligen Aufenthaltsort angenommen hatten.

Ein Kommentar zu „Lenins Zwilligsbruder

  1. Tolle Geschichte, die ich aus den genannten Gründen beinahe geglaubt hätte, nur der Buchtitel des angeblichen Zwillingsbruders irritierte etwas. Habe dann auch sehr gelacht. Gruß von anita

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